Einer für alle - alle für einen?

29.11.2022

BGH zur Verteilung des Selbstbehalts zwischen Wohnungseigentümern nach einem Leitungswasserschaden in der verbundenen Gebäudeversicherung.

 

Mit Urteil vom 16.09.2022 zum Aktenzeichen V ZR 69/21 hat der unter anderem für Wohnungseigentumssachen zuständige fünfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass bei einem Leitungswasserschaden, der im räumlichen Bereich des Sondereigentums eintrat, der im Gebäudeversicherungsvertrag vereinbarte Selbstbehalt – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung – im Grundsatz von allen Eigentümern gemeinschaftlich zu tragen ist. 

Das Entscheidung des BGH wurde mit Spannung erwartet, da einige Landgerichte unterschiedliche, teils sogar gegensätzliche Positionen zu der Frage haben, wie der vom Wohngebäudeversicherer von seiner Regulierungsleistung in Abzug gebrachte Selbstbehalt innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft zu verteilen ist: Solidarisch auf alle, auf die Einheiten einer vom Schaden betroffenen Untergemeinschaft oder auf den/die Sondereigentümer, in dessen/deren räumlichem Bereich der Schadensfall eintrat? Über diese Frage hinaus ist der zugrunde liegende Fall auch deshalb spannend, weil der BGH jedenfalls im rechtlichen Ausgangspunkt einen Anspruch der Teileigentümerin als einziger Gewerbeeigentümerin im Objekt auf Änderung des Kostenverteilungsschlüssels als möglich erachtet, dessen Voraussetzungen allerdings vom Landgericht Köln noch nicht geprüft worden waren. Der BGH schickte die Akte zurück an das Berufungsgericht. Abgerundet wird der Beitrag mit einem Blick auf eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg, die für den Verwalter unerfreulich endete, weil er sich weigerte, nach einem Wasserschaden den von einem Sondereigentümer von der GdWE geforderten Schadensbetrag als Beschlussgegenstand in die Tagesordnung aufzunehmen. 

Was war passiert? 

Der Klägerin gehört das einzige Teileigentum (Gewerbeeinheit) in einer Kölner Gemeinschaft, die im Übrigen ausschließlich aus Wohnungen besteht, deren Eigentümer die Beklagten sind. Die Gemeinschaft (GdWE) unterhält eine Gebäudeversicherung, die neben anderen Risiken auch Leitungswasserschäden abdeckt (sog. verbundene Gebäudeversicherung). Der Versicherungsschutz besteht für das gesamte Gebäude, ohne dass zwischen Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum unterschieden wird. In der Vergangenheit traten aufgrund mangelhafter Leitungen (Kupferrohre) Leitungswasserschäden in den Wohnungen auf, die sich allein im Jahr 2018 auf rund EUR 85.000,00 beliefen. Die GdWE macht deshalb seit geraumer Zeit vor Gericht Ansprüche gegen das Unternehmen geltend, das die Leitungen seinerzeit verlegt hatte. Bislang verfährt der Verwalter so, dass bei einem Wasserschaden ein Fachunternehmen mit der Schadenbeseitigung beauftragt und die Kosten von dem Gemeinschaftskonto beglichen werden. Der Verwalter nimmt die Versicherung in Anspruch und legt die Kosten unter Abzug der Versicherungsleistung nach Miteigentumsanteilen (MEA) um, und zwar auch insoweit, als die Schäden im Bereich des Sondereigentums entstanden sind. Aufgrund der Schadenhäufigkeit beträgt der in jedem Schadenfall verbleibende Selbstbehalt inzwischen EUR 7500,00. Das hat zur Folge, dass die Versicherung nur noch ca. 25% der Schäden erstattet.

Gestützt auf die Behauptung, die Mängel an den wasserführenden Leitungen seien jeweils hinter den Absperrvorrichtungen in den betreffenden Wohnungen aufgetreten, verlangt die Klägerin eine von der bisherigen Praxis abweichende Verteilung des Selbstbehalts. Sie will erreichen, dass sie nicht aufgrund des im Versicherungsvertrag vereinbarten Selbstbehalts anteilig an den Kosten für die Beseitigung von Leitungswasserschäden beteiligt wird, die nach ihrer Ansicht ausschließlich an dem Sondereigentum der Beklagten (alle Wohnungseigentümer) entstanden seien. Auch verweist sie darauf, dass in ihrer Gewerbeeinheit bislang kein Schaden aufgetreten ist. Das Amtsgericht und das Landgericht Köln wiesen die Klage komplett ab. Die Revision der Klägerin hatte teilweise Erfolg.

Die Urteilsbegründung des BGH 

Der BGH wertet das Begehren der Klägerin als Beschlussersetzungsklage mit dem Ziel, eine künftige Änderung des Kostenverteilungsschlüssels herbeizuführen. Beschlussersetzung bedeutet, dass das Gericht anstelle der GdWE (Eigentümerversammlung) die notwendige Beschlussfassung vornehmen soll. Nicht durchdringen könne die Klägerin laut BGH jedoch mit ihrem Versuch, für bereits regulierte Schadenfälle eine Kostenfreistellung ihres Teileigentums zu verlangen, denn die derzeit praktizierte Verteilung des Selbstbehalts auf alle Einheiten nach dem Verhältnis der MEA sei rechtmäßig. Für die Zukunft hingegen komme ein Anspruch auf eine Beschlussfassung über eine Änderung in Betracht. Hierfür müsse die Klägerin gemäß § 10 Abs. 2 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) darlegen und beweisen, dass ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der Wohnungseigentümer, unbillig erscheine. Da die Vorinstanzen die hierfür notwendigen Feststellungen nicht getroffen hatten, wurde die Akte zurück nach Köln zum Landgericht geschickt, verbunden mit ein paar „Segelanweisungen“.

Der BGH führt aus, dass ein in der Gebäudeversicherung vereinbarter Selbstbehalt, durch den der Versicherer einen bestimmten Teil des ansonsten versicherten Interesses nicht zu ersetzen hat, wie die Versicherungsprämie selbst nach dem gesetzlichen bzw. vereinbarten Verteilungsschlüssel zu verteilen sei. Dies gelte unabhängig davon, ob der Leitungswasserschaden am gemeinschaftlichen Eigentum oder – sei es ausschließlich oder auch nur teilweise – am Sondereigentum entstanden sei. Nach versicherungs- und wohnungseigentumsrechtlichen Maßstäben sei die Vereinbarung eines Selbstbehalts im Versicherungsvertrag ein Fall der bewussten Unterversicherung, und zwar unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer freiwillig oder – wie hier – auf Druck des Gebäudeversicherers infolge zu vieler Wasserschäden den Selbstbehalt akzeptiere, um die Prämie zu senken bzw. den Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten. Bei wertender Betrachtung stelle daher der von der Versicherungsleistung in Abzug gebrachte Selbstbehalt ebenso wie die Versicherungsprämie einen Teil der Gemeinschaftskosten im Sinne von § 16 Abs. 2 Abs. 2 Satz 1 WEG dar. 

Ausgangspunkt: Solidarität statt Schadenfreude

Rechtlicher Ausgangspunkt in der Argumentation ist der Solidaritätsgedanke: da alle Eigentümer von der niedrigeren Versicherungsprämie infolge eines versicherungsvertraglich vereinbarten Selbstbehalts profitieren, ist es gerecht, die Leistungskürzung ebenfalls auf alle zu verteilen. Ungerecht ist, dem Sondereigentümer, in dessen Wohnung die Leitung platzt, den Selbstbehalt aufs Auge zu drücken bzw. bei mehreren geschädigten Sondereigentümern diesen untereinander. Denn zumindest im Normalfall hängt es vom reinen Zufall ab, wo eine Wasserleitung reißt und Schadenfreude wäre insoweit ein schlechter Ratgeber innerhalb der Gemeinschaft. Weil der BGH aber explizit abweichende Regelungen für zulässig hält, muss der Verwalter prüfen, ob es diese in der von ihm verwalteten Gemeinschaft gibt. In Betracht kommen in erster Linie Vereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung zur Bildung von Untergemeinschaften. Ist danach die Instandsetzung von Gebäudeteilen, die zum gemeinschaftlichen Eigentum gehören, der Zuständigkeit, Abstimmung und Kostentragung der jeweils betroffenen Untergemeinschaft zugewiesen, wäre es denkbar, den Selbstbehalt innerhalb dieser Untergemeinschaft zu verteilen, auch wenn der Versicherungsvertrag einheitlich von der GdWE genommen wurde. Eine solche Vereinbarung gab es im Fall offenbar nicht. Zwar lässt sich dem Sachverhalt entnehmen, dass es eine Gewerbeeinheit und ansonsten nur Wohnungen gibt; dieser Umstand bedeutet aber weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht, dass es sich um baulich getrennte Gebäude oder Gebäudekomplexe handelt und bei der Aufteilung des Grundstücks in Wohnungs- und Teileigentum Untergemeinschaften gebildet wurden. Dazu bedürfte es einer klaren und eindeutigen Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung. Wie der BGH mit seinen Ausführungen zu § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG aufzeigt, kann die abweichende Regelung nicht nur in einer Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung, sondern auch in einem Beschluss über eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels in Bezug auf den Selbstbehalt bestehen.

Fazit für Verwalter

Die Entscheidung des BGH erleichtert die Verwalterpraxis, da ein Selbstbehalt im Grundsatz nach dem allgemeinen Verteilerschlüssel in der Jahresabrechnung auf alle Einheiten verteilt wird. Allgemeiner Verteilerschlüssel ist das Verhältnis der Miteigentumsanteile, sofern nicht in der Gemeinschaftsordnung (§ 10 Abs. 1 WEG) oder durch Beschluss (§ 16 Abs. 2 Satz 2 WEG bzw. aus der Zeit vor dem WEMoG § 16 Abs. 3 WEG aF [alte Fassung]) ein anderer Schlüssel festgelegt wurde. Ermittlungen und quotale Berechnungen, ob und inwieweit Schäden am gemeinschaftlichen Eigentum und/oder Sondereigentum (einer oder mehrerer Einheiten) aufgetreten sind, sind insoweit nicht nötig.

Nicht angesprochen zu sein scheint die Frage, wie in einer Gemeinschaft, in der Untergemeinschaften vereinbart sind, zu verfahren wäre. Im vorliegenden Fall scheint es eine solche Vereinbarung nicht gegeben zu haben. Gibt es sie, ist die Instandsetzung geplatzter gemeinschaftlicher Leitungen innerhalb eines Gebäudes ausschließliche Angelegenheit der Eigentümer dieser Untergemeinschaft. Ausgaben für Reparaturen und Einnahmen infolge der Regulierungsleistungen des Versicherers wären demnach in der Jahresabrechnung ausschließlich in dieser Untergemeinschaft zu verteilen. Es fragt sich, wie mit dem Selbstbehalt umzugehen wäre. In Betracht käme, diesen ebenfalls innerhalb der betroffenen Untergemeinschaft zu belassen oder – Solidaritätsgedanke in Ursprungsform – zwischen allen Eigentümern, also auch der nicht betroffenen Untergemeinschaften, zu verteilen, da Versicherungsnehmerin die GdWE ist, nicht eine einzelne Untergemeinschaft, und von der niedrigeren Prämie alle profitieren. Überzeugend und konsequent erscheint mir die erste Variante. Dies bedarf aber der Diskussion und ist durch das Urteil des BGH mutmaßlich noch nicht entschieden.

 

Noch ein kurzer Exkurs: in einer Hamburger Gemeinschaft erlitt ein Sondereigentümer einen Leitungswasserschaden. Da er mit der Erstattung durch die Versicherung nicht weiterkam, reichte er beim Verwalter Beschlussanträge bezüglich der Erstattung von Schadenbeträgen an ihn durch die Gemeinschaft und die Verfolgung von Regressansprüchen der Gemeinschaft gegen Dritte an. Der Verwalter lehnte dies ab, der Wohnungseigentümer erhob Klage und bekam recht. In zweiter Instanz entschied das Landgericht Hamburg mit Beschluss vom 13.07.2022 zum Aktenzeichen 318 T 16/22: Begehrt ein Eigentümer die Aufnahme konkreter Beschlussgegenstände in die Tagesordnung, hat der Verwalter diesem Begehren grundsätzlich Folge zu leisten und kein Recht, das Begehren auf Notwendigkeit/ Richtigkeit/ Sachlichkeit zu prüfen.
 
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte


Für die Klägerin im BGH-Fall könnte es im weiteren Verlauf des Rechtsstreits eng werden. Dadurch, dass der BGH ihren denkbaren Anspruch auf Änderung des Verteilerschlüssels an die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 WEG knüpft, liegt die Messlatte hoch. Rechtsfolge dieser Vorschrift ist die Änderung einer Vereinbarung. Darum geht es der Klägerin nicht. Sie begehrt eine Änderung des gesetzlichen Ausgangsverteilerschlüssels (Miteigentumsanteile). Hierfür genügt ein Mehrheitsbeschluss gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG im Rahmen einer fehlerfreien Ermessensausübung der Versammlung anhand der Grundsätze einer ordnungsmäßigen Verwaltung (§ 18 Abs. 2 WEG). Einstimmigkeit im Sinne einer Vereinbarung ist nicht nötig. Möglicherweise werden sich dem Urteil hierzu weitere Erkenntnisse entnehmen lassen. Wichtig ist, dass der BGH für das weitere Verfahren zu § 10 Abs. 2 WEG darauf hinweist, dass eine unbillige Belastung der Klägerin nur in Betracht kommen könne, wenn das Auftreten der Leitungswasserschäden in den Wohnungen auf baulichen Unterschieden des Leitungsnetzes in den Wohnungen einerseits und der Gewerbeeinheit andererseits beruhen sollte, wohingegen ein unterschiedliches Nutzungsverhalten nicht ausreichend sei. Unklar und schwer vorherzusagen ist, was der BGH sich hierunter vorstellt. Bauliche Unterschiede des Leitungsnetzes können meines Erachtens beispielsweise vorliegen, wenn Wohnungen und Gewerbeeinheit über baulich voneinander getrennte Leitungsnetze verfügen. Fraglich ist, ob es auch genügen würde, wenn die Klägerin bei einem einheitlichen Leitungssystem die Leitungen in ihrer Gewerbeeinheit erneuert hätte, die Wohnungseigentümer dies hingegen versäumten.

Trifft die Behauptung der Klägerin zu, dass die Leitungswasserschäden in den Wohnungen allesamt hinter den für die Handhabung durch den Sondereigentümer vorgesehenen Absperrvorrichtungen auftraten, liegt es nahe, dass der jeweilige Sondereigentümer zuständig ist, auf eigene Kosten erforderliche Erhaltungsmaßnahmen an den Leitungen vorzunehmen, beispielsweise einen Austausch maroder Leitungen. Hierzu kann er von der GdWE aufgefordert und notfalls gerichtlich gezwungen werden. Sollte ein Sondereigentümer die Erneuerung seines Sondereigentums schuldhaft verweigert und den Leitungswasserschaden dadurch schuldhaft verursacht haben, kommt unter Umständen ein gegen ihn gerichteter Schadensersatzanspruch in Bezug auf den Selbstbehalt infrage. Der Selbstbehalt wäre in der Jahresabrechnung zunächst auf alle zu verteilen. Die Gemeinschaft wäre aber berechtigt, die zwischen Gemeinschaft und Sondereigentümer streitige Verantwortlichkeit gerichtlich im Rahmen eines Zahlungsprozesses zu klären.

Fazit für die Gemeinschaft

In Gemeinschaften (GdWE) mit hohen Schadensquoten ist es nicht selten, dass der Gebäudeversicherer die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses von der Vereinbarung eines Selbstbehalts abhängig macht. Nach jedem Schadensfall steht ihm ein Kündigungsrecht zu. Je höher die Schadensquote und je maroder das Leitungsnetz, desto höher der Selbstbehalt und das Risiko, keinen neuen Gebäudeversicherer zu finden. Bei Schäden am Sondereigentum muss die GdWE die Schadenregulierung nicht betreiben. Da sie Versicherungsnehmerin ist und den Sondereigentümer Treue schuldet, muss sie aber alle erforderlichen Unterlagen und Informationen an den geschädigten Sondereigentümer herausgeben. Reguliert der Versicherer einheitlich an die Gemeinschaft, muss diese dem geschädigten Sondereigentümer den auf ihn entfallenden Anteil an der Versicherungsleistung auskehren.

Versicherungsrechtlich hat sich durch die Novelle des WEG zum 01.12.2020 (WEMoG) nichts geändert. Versicherungsnehmerin ist die GdWE, die Sondereigentümer sind Mitversicherte, da es sich um eine Versicherung auf fremde Rechnung nach § 43 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) handelt.

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