Baut auf, baut auf!

19.04.2024

BGH entscheidet erstmals grundlegend - und großzügig - zur privilegierten baulichen Veränderung nach WEMoG!

Darauf hat die Praxis gewartet und – aus Sicht bauwilliger Wohnungseigentümer – gehofft: der Bundesgerichtshof (BGH) wendet den neuen § 20 WEG großzügig an und betont in zwei Urteilen vom selben Tage zu Sachverhalten aus München und Bonn das vom Gesetzgeber mit seiner Neuregelung der baulichen Veränderungen intendierte gesamtgesellschaftliche Interesse.

Jan-Hendrik Schmidt, Rechtsanwalt und Partner bei W‧I‧R Breiholdt Nierhaus Schmidt

Verwalter und Wohnungseigentümer wissen, dass seit 1.12.2020 die Vornahme baulicher Veränderungen am gemeinschaftlichen Eigentum weniger streng gehandhabt wird als zuvor. Früher war die bauliche Veränderung in § 22 WEG alter Fassung (aF) geregelt, der eine Hürde aufstellte, die aus Sicht eines bauwilligen Wohnungseigentümers realistisch kaum zu überwinden war. Denn der Individualrechtsschutz des Einzelnen, der gegen die bauliche Veränderung war, war stark ausgestaltet. Das WEMoG änderte das und führte den neuen § 20 WEG, der zwar großzügiger formuliert ist, aber seinerseits eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe und Voraussetzungen enthält, über die man streiten kann und die daher letztlich vom Bundesgerichtshof einer Klärung zugeführt werden müssen.

In seinen Urteilen vom 09.02.2024 zu den Aktenzeichen V ZR 244/22 und V ZR 33/23 äußert sich der BGH zu den Voraussetzungen und Grenzen baulicher Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums. In den zugrundeliegenden Sachverhalten ging es um individuelle privilegierte bauliche Maßnahmen zur Barrierereduzierung, die den Wohnungseigentümern in einem Fall verweigert (Negativbeschluss) und im anderen Fall gestattet (Positivbeschluss) worden waren. Im ersten Fall erhoben die bauwilligen Wohnungseigentümer Beschlussersetzungsklage, in dem anderen Fall bekämpfte ein Eigentümer den gestattenden Mehrheitsbeschluss mit der Beschlussanfechtungsklage.

Was war passiert?

In dem Fall aus München besteht die Wohnanlage aus zwei zwischen 1911 und 1912 im Jugendstil errichteten Wohnhäusern und steht unter Denkmalschutz. Das Vorderhaus erhielt im Jahr 1983 den Fassadenpreis der Stadt München. Das Hinterhaus (ehemaliges Gesindehaus) ist eher schlicht gehalten und besitzt ein enges Treppenhaus. Den Klägern gehören die Wohnungen im 3. und 4. Obergeschoss des Hinterhauses. Das Vorderhaus hat einen Aufzug, das Hinterhaus nicht. In der Versammlung vom 26.07.2021 stellten die körperlich nicht gehandicapten Kläger den Beschlussantrag, ihnen auf eigene Kosten einen Außenaufzug am Treppenhaus des Hinterhauses zu gestatten. Dies wurde abgelehnt. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht München I den Beschluss der Wohnungseigentümer durch Urteil ersetzt, dass am Hinterhaus auf der zum Innenhof gelegenen Seite ein Personenaufzug zu errichten ist. Die Revision zum BGH dies das Gericht zu.

In dem Fall aus Bonn ging es nicht so hoch hinaus wie in München, immerhin aber 65 cm für eine Terrassenaufschüttung auf der Rückseite des Gebäudes zum Garten samt Rampe als barrierefreien Zugang und Ersetzung eines Doppelfensters durch eine Fenstertür. Die Wohnanlage besteht aus drei miteinander verbundenen zweistöckigen Häusern. Für die Erdgeschosswohnungen sind in der TE/GO Sondernutzungsrechte vereinbart mit der Berechtigung, auf den Gartenflächen Terrassen in der Größe von max. 1/3 der Sondernutzungsfläche zu errichten. Die beiden Eckhäuser haben gepflasterte Terrassen. Auf Antrag der bauwilligen Wohnungseigentümerin gestattete die Eigentümerversammlung vom 14.10.2021 ihr die gewünschte bauliche Veränderung. Hiergegen richtet sich die Anfechtungsklage. Das Amtsgericht Bonn erklärte den Beschluss für ungültig, das Landgericht Köln bestätigte die amtsgerichtliche Entscheidung und ließ die Revision zu.

In beiden Fällen stritten die Parteien über die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 20 WEG, also u.a. die Abgrenzung einer klassischen zu einer privilegierten baulichen Veränderung, die Angemessenheit der Maßnahme, die unbillige Benachteiligung und die Frage, ob es zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage kommt.

Die Urteilsbegründung des BGH

Der BGH bestätigt den vom Landgericht München I anstelle der mehrheitlich blockierenden Wohnungseigentümer in die Welt gesetzten Grundlagenbeschluss. Der Außenlift stelle eine angemessene bauliche Veränderung dar, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen diene. Da privilegierte bauliche Veränderungen typischerweise mit Eingriffen in die Bausubstanz, üblichen Nutzungseinschränkungen und optischen Veränderungen einhergingen, könne darin regelmäßig keine Unangemessenheit liegen. Dass hier ein atypischer Sonderfall vorliege, habe die GdWE nicht dargetan. Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage könne in der Errichtung eines Aufzugs nicht gesehen werden, und zwar auch dann nicht, wenn er nicht im Treppenauge ein-, sondern im Außenbereich angebaut werde. Eine unbillige Benachteiligung eines einzelnen Wohnungseigentümers gegenüber anderen sei ebenfalls weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Einen Unterschied in der Urteilsbegründung zeigt der Fall aus Bonn. Da die Mehrheit die privilegierte bauliche Veränderung dort gestattete anstatt sie abzulehnen, hänge die Rechtmäßigkeit des Beschlusses laut BGH entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht davon ab, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG im Einzelnen vorlägen und die bauliche Veränderung insbesondere angemessen sei. Hierauf komme es nur an, wenn – wie im Fall aus München – der Individualanspruch eines Wohnungseigentümers abgelehnt wurde. Im Bonner Fall dagegen sei nur die Grenze der grundlegenden Umgestaltung zu prüfen. Diese sei eingehalten. Gestattet worden sei die Errichtung eines untergeordneten Anbaus an ein bestehendes Gebäude einer Mehrhausanlage, wobei Terrassen schon nach der Gemeinschaftsordnung erlaubt seien.

Fazit für den Verwalter

Der BGH ebnet den Weg für eine großzügige Anwendung der Neuregelung zu privilegierten baulichen Veränderungen (§ 20 Abs. 2 WEG). Beide Fälle betrafen privilegierte bauliche Veränderungen zur Barrierereduzierung im Individualinteresse. Zuweilen kann die exakte rechtliche Qualifizierung baulicher Wünsche streitig und für den Verwalter schwierig sein. Eine wichtige Aussage trifft der BGH, wenn die Mehrheit für die Gestattung ist. Hier muss lediglich die in § 20 Abs. 4 WEG geregelte Grenze zur (unzulässigen) grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage sowie zur (unzulässigen) unbilligen Benachteiligung beachtet werden. Im Übrigen darf die Mehrheit die Maßnahme aber auch dann gestatten, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht als gegeben ansieht oder jedenfalls Zweifel hieran hegt. Das ist eine echte Erleichterung für die Rechtsanwendung und die Versammlungspraxis.

Treten Eigentümer mit baulichen Wünschen an die GdWE heran, hat der Verwalter diese als Beschlussgegenstand in die Tagesordnung der Versammlung zu bringen. Dies gilt unabhängig davon, ob und wie die Eigentümer ihr Begehren begründen. Sind in der Gemeinschaftsordnung Vereinbarungen über Untergemeinschaften getroffen, müssen diese beachtet werden. Denkbar ist beispielsweise, dass ein Vorderhaus oder sonst freistehender Baukörper allein entscheidet und Mehrheitserfordernisse daher nur auf eine Gruppe stimmberechtigter Eigentümer zu beziehen sind.

Präsentiert ein bauwilliger Eigentümer dem Verwalter sein Bauvorhaben und fordert die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes, kann und darf der Verwalter abwägen, ob er bereits zur Versammlung ein paar fachmännische Informationen für die Gemeinschaft einholt, beispielsweise technischer Art oder juristischer Natur. Wenn sich die Kosten für eine Architekten, Handwerker, Rechtsanwalt etc. im Rahmen halten, darf der Verwalter dies tun, ohne zu fragen, insbesondere ohne eine vorherige Beschlussfassung abzuwarten. Statements der Gerichte gibt es bisher nicht. Unter Fachjuristen besteht Einigkeit, dass der Verwalter 3-5-% des Gesamtvolumens des Wirtschaftsplans des laufenden Kalenderjahres ausgeben darf, dies also ohne Risiko von seiner gesetzlichen Vertretungsmacht abgedeckt ist. Will beispielsweise ein Wohnungseigentümer eine Wand durchbrechen, darf der Verwalter eine kurze fachmännische Stellungnahme einholen, beispielsweise in Bezug auf statische Themen oder die rechtliche Ersteinschätzung, ob es sich um eine privilegierte bauliche Veränderung (Barrierereduzierung) handelt. Umso mehr kann dies gelten, wenn der bauwillige Eigentümer bereits Expertise beifügt, etwa eine Aufforderung seines Rechtsanwalts, Architekten etc. In dem Beschluss über die Gestattung der begehrten baulichen Veränderung darf die Gemeinschaft Vorgaben treffen, die der bauwillige vor Baubeginn erfüllen muss, beispielsweise die Vorlage einer statischen Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Rechtlich unerheblich war, dass die klagenden Eigentümer in beiden vom BGH entschiedenen Fällen gegenwärtig körperlich nicht auf einen Aufzug angewiesen sind. Nach dem Gesetzeswortlaut genügt es, die Zugänglichkeit des Sondereigentums dadurch zu erleichtern, dass Barrieren verringert werden. Bauwillige Eigentümer dürfen also für die Zukunft vorbeugen. Die Ersetzung eines geschlossenen Fensterelements durch eine Fenstertür ist eine Barrierereduzierung, wenn Wege verkürzt oder neu erschlossen werden.

Da der Gesetzgeber die Angemessenheit einer privilegierten baulichen Veränderung als Regel ansieht, obliegt es der GdWE darzulegen, warum ein atypischer Fall vorliegen soll. Denkbar ist der Einwand, dass ein Aufzug im Treppenauge alle oder mehr Wohnungen als bei einem Penthouselift erschließt, was auch im Hinblick auf spätere Teilhabeansprüche relevant werden kann. Im Münchener Fall wird dies angesichts der engen baulichen Verhältnisse im Treppenhaus vermutlich ausgeschieden sein.

Das Verbot einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage ist eine hohe Hürde für Baugegner und eine weitere gesetzgeberische Steigerung der Höhe der Messlatte. In der Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2020 durfte die als Modernisierung oder Anpassung an den Stand der Technik privilegierte bauliche Veränderung die Eigenart der Wohnanlage nicht ändern (§ 22 Abs. 2 Satz 1 WEG aF). Die „Eigenart der Wohnanlage“ darf mit einer „grundlegenden Umgestaltung“ nicht gleichgesetzt werden. Die grundlegende Umgestaltung lässt deutlich mehr zu an baulicher Veränderung, vor allem auch im Hinblick auf das äußere Erscheinungsbild. Bei der klassischen baulichen Veränderung (§ 22 Abs. 1 WEG aF, jetzt § 20 Abs. 3 WEG) kann sogar schon die nachteilige Veränderung des optischen Erscheinungsbildes das Bauvorhaben zum Scheitern bringen. Dieses wird dann relevant, wenn der bauwillige keine Mehrheit für die Gestattung seiner nicht privilegierten baulichen Veränderungen findet und somit auf das Einverständnis eines jeden Wohnungseigentümers angewiesen ist, der über das gesetzlich zulässige Maß hinaus beeinträchtigt wird. Da eine solche Beeinträchtigung juristisch niedrigschwellig angesetzt wird, haben Gegner weiterhin gute Handhabe gegen eine bauliche Veränderung.

Fazit für die Gemeinschaft

Die Urteile des BGH betreffen privilegierte bauliche Veränderungen im privaten Sonderinteresse einzelner Sondereigentümer bzw. Sondernutzungsberechtigten. Weiterhin keine grundlegende höchstrichterliche Aussage gibt es zur Qualifizierung energetischer Sanierungsmaßnahmen und der rechtlichen Einordnung der früheren modernisierenden Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 22 Abs. 3 WEG aF). Derartige Maßnahmen erfolgen in aller Regel im Namen der GdWE auf Kosten aller Wohnungseigentümer.

Der gerichtlich ersetzte Grundlagenbeschluss ist mit Urteilsverkündung beim BGH bestands- und rechtskräftig. Zur Beschlussdurchführung ist an sich die GdWE verpflichtet, wobei ein Grundlagenbeschluss wie hier im Fall aus München nicht ohne weiteres durchführbar ist. Der nächste Schritt wird in der Regel ein weiterer Beschlussantrag des bauwilligen Wohnungseigentümers sein müssen, nunmehr gerichtet auf die konkrete Umsetzung des Grundlagenbeschlusses. Die GdWE wird sodann unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, die Eigentümerversammlung einberufen müssen, damit erneut abgestimmt werden kann, wobei der Mehrheit das durch § 20 Abs. 2 Satz 2 WEG im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung eröffnete Direktionsrecht und Gestaltungsermessen zum Tragen kommen kann. Denkbar ist etwa, dass dem bauwilligen Wohnungseigentümer bezüglich Antriebstechnik, Material, Standort etc. ordnungsmäßige Vorgaben gemacht werden.

Auch diesbezüglich darf die GdWE gegebenenfalls anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Da die Thematik mindestens einmal in der Versammlung gelandet war, wird der umsichtige Verwalter einen Beschluss dazu herbeigeführt haben. Das kann vor allem dann gelten, wenn der 3-5%-Schwellenwert überschritten werden würde, die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt der GdWE also mehr Honorar abrechnet als bei einer ersten überschlägigen rechtlichen Prüfung.

 

 

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